PETER RUEHLE    

 

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Prinzip Landschaft

von Sabine Ziegenrücker

 

 

Peter Ruehle erhebt die Landschaft in seinen Arbeiten zum Prinzip. Horizontale Bilder, schmal und oft zu Streifen verdichtet, durchziehen sein Werk. Auf Bändern, zumeist nur wenige Zentimeter hoch, entfaltet sich ein ganzer Bildkosmos in höchster Präzision. Als würde man mit äußerster Konzentration die Augen zusammenkneifen, ist der Blick auf Fernsicht und Detailschärfe gleichermaßen eingestellt. In diesem scheinbaren Widerspruch liegt die Kraft der Arbeiten, die auf den ersten Blick gefangen nehmen und den Betrachter auf eine Reise schicken, die zunächst an allseits Bekanntem ihren Ausgang nimmt: am Berliner Funkturm, an der Dresdner Frauenkirche oder an Bildern von der Wahl Barack Obamas. Doch alsbald tritt man ein in ein Reich der Imagination. Wie Eingangstore in eine erdachte Welt stehen diese wiedererkennbaren Zeichen am Beginn des Wegs, der immer weiter hineinführt in erfundene, unbekannte Gefilde. Bald schon kennt man sich nicht mehr aus, vieles liegt so fern. Doch dann scheint glücklicherweise der nächste Anker auf, der Vertrautes wiedererkennen lässt.

 

Betrachtet man die Stadtlandschaften Ruehles, allesamt Orte, die mit dem Künstler in biographischem Zusammenhang stehen, so erblickt man zunächst eine in unerreichbarer Ferne liegende, fast verschwindende Stadtsilhouette. Der Himmel, der sich darüber erstreckt, erscheint unermesslich weit. Der Vordergrund, der im Ungefähren bleibt und als Land- oder Wassermassen gedeutet werden kann, kommt aus dem Nirgendwo. Ort und Zeitlosigkeit angesichts dieser kosmischen Weiten erinnern an die Kontingenz unseres Daseins. Irritierend und doch zugleich schön erscheinen diese Landschaften, wenn man sich ihre Farbigkeit und Weite vor Augen führt, von der viel Ordnung und Harmonie auszugehen scheint. Und doch sind sie menschenleer. Nicht einmal der einsame Mönch eines Caspar David Friedrich (1774-1840), mit dem Peter Ruehle nicht allein die Beziehung zu Dresden gemeinsam hat, teilt diesen unermesslichen Raum mit uns und macht ihn somit weniger lebensfeindlich.

 

Was ist Wirklichkeit und was Fiktion? Will man die Stadtlandschaften auf ihren topographischen Gehalt entschlüsseln, stellt man bald fest, dass nur weniges mit den im Titel bezeichneten Orten übereinstimmt. Bis auf ein paar Wiedererkennungszeichen ist vieles verrückt oder existiert nur als Behauptung. Zahlreiche Grünzüge oder Wasserflächen kommen hinzu, manch ein pittoresker Kuppelbau ist den Veränderungsmaßnahmen zuzuschreiben, die Ruehle an den Städten vornimmt. Mit großer Akkuratesse und Feinmalerei, die vorgibt vedutenhaft präzise, gleichsam dokumentarisch die jeweiligen Orte ins Bild zu setzen, führt er uns in die von ihm erdachten Welten. Fiktion und Realität werden unmerklich als Gegensätze unterwandert und in ihrer Widersprüchlichkeit vereint. Die Landschaft wird in dieser Allgemeingültigkeit zum Prinzip erhoben. Sie wird als Symbol für den modernen Menschen erkennbar, der Sinn in ontologischer Sicht im Außenraum ästhetisch vergegenwärtigt.

 

Die Serialität dieses Werkzyklus unterstreicht den konzeptuellen Ansatz, der diesen Arbeiten auf den zweiten Blick zugrunde liegt. Sie sagen viel über unsere Wahrnehmung und die Verführbarkeit des Sehens. Die Bereitschaft, wiedererkennbare Teile für ein bereits bekanntes Bild zu halten, deckt sich dabei mit Erkenntnissen der Wahrnehmungsphysiologie. Diese geht davon aus, dass das Gehirn beim Sehen den Gegenstand im Hinblick auf Bekanntes in Bruchteilen von Sekunden „scannt“, was eine detaillierte Erfassung in der Regel überflüssig macht. Es läuft bei der Wahrnehmung von Bildern ein kognitiv wenig kontrollierter Mustervergleich ab und nur bei großen Abweichungen werden weitere Teile des Gehirns aktiviert. Ruehle nutzt diesen Umstand, indem er in seinen Landschaften den größtmöglichen Grad der Verallgemeinerung erreicht, ohne dass sie dabei ihre Spezifik in der Anschauung verlieren.

 

In der Bildreihe 'mind your own business' verdichtet Ruehle diese Konzeption weiter. Aus der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ entnimmt er Bilder des Zeitgeschehens und ordnet sie in horizontalen Streifen untereinander auf immer gleich großen Bildtafeln. Auf jeder Tafel sind Fotos von zwei Wochen aneinander gereiht. Folglich entstehen 24 Tafeln in einem Jahr. Fetzen von medial verbreiteter Wirklichkeit scheinen auf, sortieren sich gleichmäßig in Reih' und Glied: Pop Award neben Kriegsunglück und Flüchtlingsdrama neben Autorennen. Jedem Ereignis ist der gleiche Umfang zugemessen. Der Zynismus, den wir täglich mit den Nachrichten konsumieren, wird in den Streifen konserviert und gleichzeitig als Bildwelt komponiert. Tafel an Tafel lassen sich diese Dokumente wie ein Filmstreifen abschreiten und das Jahr in einem Zeitraffer Revue passieren.

 

Auch hier sind es nur Teile, die wiedererkennbar sind. Alles andere wird zu einem vielfarbigen Rauschen. Ruehle ergreift den Moment, in dem wir einzelne Dinge erkennen, aus Puzzle-Steinen automatisch Bilder zusammensetzen und dazu Geschichten erinnern können. Das Sehen wird so zu einem aktiven Vorgang. Dabei ist es dem Künstler ein Anliegen, durch den formalen Zugriff und die serielle Anordnung die Informationsfülle zu filtern und zu ordnen, um ihr zunächst die Schnelligkeit und auch die Dramatik zu entziehen. Tritt man jedoch einen Schritt zurück, weg vom Einzelbild, verschränken sich die Tafeln zu einer vibrierenden Komposition. Es zeigt sich innerhalb des Chaos der Erscheinungen eine ästhetisch ansprechende Ordnung. In diesem Sinn kann auch der Titel der Serie verstanden werden, der in ironischer Verkehrung dazu auffordert, sich um sich selbst zu kümmern - ein Klartext in Bildern.

 

In konsequenter Weiterführung entwickelt Ruehle seine Arbeit „Bildkilometer“, wofür er wiederum eine große Menge Zeitungsfotos aneinandergeklebt hat. Eine Art Filmrolle von einem Kilometer Länge ist entstanden. Die Konzeption erinnert an die Arbeit „Vertikaler Erdkilometer“, die der Land-Art-Künstler Walter de Maria (*1935) in Kassel in den Erdboden eingeführt hat – weitestgehend unsichtbar, aber doch vorhanden. Die Bilder, die Ruehle verwendet, sind aufgerollt, konserviert und als Objekt verschlossen. Sie sind unseren Blicken entzogen, nicht zugänglich und als Nachrichtenbilder nicht mehr verfügbar. Doch sind sie dadurch in ihrer Faszination gebannt? Entwickeln sie nicht gerade in der Vorstellung eine besondere Anziehungskraft? Der große Reiz, mit der uns Bilder gleich welcher Aussage in ihren Bann ziehen und die darin liegende Ambivalenz scheint hier noch potenziert.

 

In seinen neusten Arbeiten hat Ruehle die Verdichtung der Landschaften noch weiter voran getrieben. Als farbige Essenz ihres Prinzips können die horizontalen, monochromen Farbstreifen verstanden werden. Der Künstler setzt Farbverläufe übereinander, zumeist als Tonfolgen, die von einer dunkleren Mitte hin zu helleren Tönen nach oben und unten streben. In hochformatige Kästen sind diese Kompositionen gesetzt. Ästhetische Ordnung und eine geläuterte Sicht auf das Chaos der Bilderwelt werden von diesem entfernten, abstrahierenden Standpunkt aus möglich. Auch hier bleibt die Landschaft als Sehnsuchtsort noch in der Reminiszenz unverkennbar.

 

Principles of Landscape

by Sabine Ziegenrücker

 

 

In his paintings Peter Ruehle makes the landscape a matter of principle. Horizontal images, slim and often condensed to stripes, suffuse his work. On tapes, most of them only a few centimetres high, a rich cosmos of images is developed in highest precision. As if squinting in utmost concentration the eye falls on both visibility and sharpness of detail. In this apparent contradiction lies the power of his works. Taking captive at first glance the viewer embarks on a journey starting at points universally known: the Funkturm of Berlin, the Frauenkirche of Dresden or the images of the election of Barack Obama. But soon we are entering the realm of imagination. Like entrance gates to a conceived world these recognizable landmarks are standing at the beginning of a path that leads further into fictitious and unknown domains. Very soon we don't know our way around and so many things are very far away. But then, fortunately the next anchor appears and gives the opportunity to recognize another familiar item.

 

On closer examination of Ruehle's cityscapes, all of them places connected with the artist's biography, one first perceives an all but disappearing silhouette situated distantly and out of reach. The sky extending above seems vast and endless. The vagueness of the foreground may be interpreted as masses of land or water arising from nowhere. Facing these cosmic distances the lack of place and the timelessness become a reminder of the contingency of our existence. Considering the richness of colour and their depth and thus the inherent order and harmony, these images appear to be confusing but, at the same time, strangely beautiful. But yet they are deserted. Not even the lonely monk at the sea by Caspar David Friedrich (1774-1840), with whom Peter Ruehle not only has in common his connection to Dresden, would share this vast space with us and make it less inhospitable.

 

What is reality and what is fiction? While trying to decode the cityscapes with respect to their topography it can soon be noticed that just a few things are corresponding with the places mentioned in the paintings’ titles. With the exception of some symbols of recognition most things are removed or exist only as assertion. Numerous green areas or expanses of water are added and many a cupola can be attributed to the changes the cities undergo by Ruehle’s brush. With great meticulousness and fine painting, both used to imitate a precise documentation of the respective location, he guides us through a made-up world filled with his own inventions. In a subtle way the antagonism of fiction and reality is subverted and thus both are reunited in their contradictory nature. By this general approach landscape is made into a matter of principle. By aesthetically visualizing meaning, when conceived ontologically in the external space, landscape is made discernible as a symbol for the modern human being.

 

The serial structure of this work cycle emphasizes the conceptual approach that forms the underlying foundation of these works. They are telling us a lot about our ways of perception and the susceptibility of the human eye. The willingness to mistake easily recognizable parts for an already known image corresponds with knowledge of the physiology of perception. Here the assumption is made that while perceiving an object the human brain scans it within a fraction of a second with regard to known properties. That way a more detailed analysis becomes unnecessary. While perceiving images a little controlled process of comparing patterns is performed and additional capacities of the brain will only be used in case of significant departures from the norm. Ruehle is using these facts and by doing so he achieves the greatest possible extent of generalization without losing the specificity of perception.

 

In the series 'mind your own business' this concept is condensed even further. Here Ruehle uses images of current events from the German news magazine 'Der Spiegel' and arranges them on canvas panels of the same size in horizontal stripes one below the other. Each panel includes photographs describing a period of two weeks. Thus 24 panels give a portrayal of one year. Shreds of reality, as conveyed and distributed by the media, are lined up in formation: music awards and disasters of war, refugee dramas and car races with each event occupying the same amount of space. The cynicism we consume with the news on a daily basis is conserved and at the same time composed as a multicoloured flood of images. Panel by panel one is able to walk along these documents reviving more than a calender year.

 

Again only parts are recognizable, while everything else becomes polychromatic noise. Ruehle captures the moment in which we recognize individual things and automatically compose images from bits of our memory as if putting together a jigsaw puzzle. Seeing becomes an active and productive process. The artist’s intent to slow down the dramatic developments depicted is achieved by uniformity and the serial character of the work, both of them filter and order the flood of information. Taking one step back, away from a single image, the panels become entangled and form a vibrating mass comprised of colour and time. Out of the chaos of events arises an aesthetical order. The title can also be understood in this sense, even though it ironically tells to do the opposite, to look out for our own concerns.

 

Developing this concept further Ruehle presents his work 'image kilometer'. By sticking together a huge number of magazine images, a kind of film reel one kilometre in length is created. The concept alludes to 'The Vertical Earth Kilometer' by the famous Land artist Walter de Maria (*1935), a work buried into the earth in Kassel making it to the greatest possible extent invisible whilst still existing. The images used by Ruehle are rolled up, preserved and enclosed as one object. They are hidden from sight and as news images they are no longer available. But is their power to allure diminished by that? Do they not still generate a special force of attraction through the powers of imagination? Through the considerable appeal of news images, no matter what they depict, a spell is cast and the immanent ambivalence seems to be multiplied here.

 

In his latest works Ruehle has further continued the condensation of landscapes. The horizontal and monochrome stripes can be understood as the coloured essence of this principle. Here the artist sets gradings of colour one below the other, mostly as sequences which transform from a dark center to brighter tones at the top and bottom. These compositions are set into boxes of vertical format. From this remote and abstract angle aesthetic order and a refined view on the chaos of the world of images suddenly becomes discernible. Even here the landscape remains recognizable as a place of longing and memories.

 

 


Filter

von Emil Otto Nardorff

 

 

Peter Ruehles Landschaften ragen aus dem heutigen Bilderwald. Formale Klarheit und malerische Präzision treffen sich in einer Balance von Realität, Fiktion und Abstraktion. Der Glanz der Landschaft wird durch gezielte Reduktion transformiert: In den Bildern kulminiert das Zusammentreffen von weißlichem Himmel und gräulichem Land in einem Horizont tiefer Farbigkeit. Nach einem ausgeprägten und seriellen Konzept entsteht hier aus Varianten, feinen Kombinationen und Abstufungen atmosphärisch verdichteter Farbflächen eine immer andere, eigentümliche Landschaft.

 

Die Wirkung der Bilder variiert durch den räumlichen Abstand des Betrachters. Aus der Entfernung sieht man ein helles Bild von prägnanter Formgebung in Gestalt eines wieder- kehrenden, licht eingefassten und streng waagerecht verlaufenden, fast dynamischen Balkens im unteren Drittel. Je näher man herantritt, desto deutlicher entmischen sich die einzelnen Farben zu konkreten Architekturen. Die von Bild zu Bild sehr verschiedenen Farbig- keiten flimmern jeweils in der höchsteigenen Form und Stimmung der Stadt oder Landschaft; vielleicht auch in ihrer Geschwindigkeit. In der Fernsicht abstrakt, entwickeln die Arbeiten mit sich verringerndem Abstand in Tiefe und Schärfe ihren Gegenstand. 

Neben den sichtbaren Dimensionen eröffnet sich dem Betrachter eine weitere: der Bildraum öffnet sich der Erinnerung und dem eigenem Erlebnis einer Landschaft. Das Bild reagiert mit den Bildern im Kopf. Stadt und Landschaft geben hierfür eine einzigartige Projektionsfläche. Schließlich erinnert man sich an Städte und Länder, ihre Gestalten und Töne, Oberflächen oder Gerüche. Jede einzelne Ausprägung des Urbanen oder Ruralen hat spezifische Erscheinungen und Ihre Betrachter haben individuelle Bezüge dazu. Aus diesem Zusammenspiel entfalten Ruehles Bilder eine ganz unmittelbare Sogwirkung. Was das Bild abstrahiert, kehrt durch den individuellen Bezug des Betrachters hierzu als konkrete Substanz in das Bild zurück; die eigene Reise beginnt. 

Geht man davon aus, dass es eine bestimmte Landschaft kein zweites Mal irgendwo auf der Erde gibt, so existieren doch Eigenschaften, die insbesondere in Ihrer Wirkung den Anschein der sonderbaren Ähnlichkeit mit einem anderen Ort in sich tragen. Flächen, Flüsse und Berge, Formen, Distanzen, Farben und Proportionen gleichen sich: Die Südalpen Neuseelands beweisen Nähe zu ihren europäischen Kollegen, die Farben Siziliens leuchten wie die des isländischen Hochlands, skandinavische Schären haken deutsche Nordseelandschaften unter und im Osten Rumäniens findet sich die Heide aus der Uckermark. 

Daß Landschaft immer relativ wahrnehm- und erlebbar ist, hat Peter Ruehle schon früh mit seinen reduzierten Landschaften als Basis der folgenden Bilder gezeigt. Die anfangs eher realistisch angelegten Landschaften drückten sich zunehmend am Horizont zusammen, ohne jedoch ihre Eigenarten zu verlieren. Auf der Suche nach Gestalt und Natur der Natur hat Ruehle die Bedeutung feiner Farbklänge für jede einzelne, spezifische Landschaft transformiert, die in gezielter Akzentuierung zum Hauptträger von Atmosphäre und individueller Wiedererkennbarkeit werden. Eine konzentrierte Weiterentwicklung erfuhr die Konzeption in den seit 2005 entstehenden Universallandschaften und der Serie international. Wieder entwickelt sich aus Farbtönen und deren Anordnung eine individuelle Sichtweise. Während die international - Bilder durch ihren Detailreichtumund ihr Formenvokabular wie Landschaften aussehen, die genauso irgendwo tatsächlich existieren, bewegen sich die reduzierten Universallandschaften schon innerhalb der Abstraktion. Die Landschaften werden universal und international. Vielleicht behandelt Ruehle deshalb inzwischen alles, was über dem Horizont liegt, extra, entwirft eigene Himmelsserien und vermeidet damit jede Eingrenzung. Himmel und Wolken scheinen überführt in ihre eigentliche, unendliche und deshalb nur ausschnitthaft darstellbare Gestalt.

Die Serien alphaville und zeroville erscheinen als Essenz der bisherigen Entwicklungen. Indem sie die mit reduzierten und universellen Landschaften entwickelte Konzeption auf das Motiv der Stadt übertragen, wird das Urbane zur wiederkehrenden Systematik menschlicher Großvergesellschaftung inklusive ihrer übertragbaren Mechanismen und Strukturen. 

Die Serie alphaville bezieht sich schon in ihrer Bezeichnung auf den gleichnamigen Film von Jean-Luc Godard von 1965; einer düsteren urbanen Zukunftsvision. Mit schlichten filmischen Mitteln, wie kurzen Zwischenschnitten, ungewöhnlich anmutenden Vergrößerungen und Detailausschnitten und dem weitgehenden Verzicht auf Tageslicht, gelangt Godard vom Drehort Paris zu einem Stadt-Staat-Gefüge, das -obwohl im Grunde vertraut- merkwürdig fremdartig und bedrohlich anmutet. Ruehle überträgt diese Technik des Ausschneidens und wieder Zusammensetzens und damit einer ungewohnten Kontextualisierung in Malerei. Die jeweils dargestellte Stadt ist zwar anhand prägnanter Gebäude in ihrer Kulisse meist schnell zu identifizieren, wird bei näherer Betrachtung aber nicht vertrauter: Bekannte Gebäudeformationen und Solitäre, Blickachsen und Entfernungen sind verändert und versetzt mit fremden Profan- und Sakralbauten, Türmen oder Industrieanlagen. Lauf und Ausdehnung von Gewässern samt zugehöriger Brücken, Parks und Grünflächen eröffnen neue Bilder altbekannter Orte. Aus dem realen Kontext entnommenen und ungewohnt wieder montierten Versatzstücken der Gegenwart entsteht ein synthetischer, visionärer Ort der Zukunft, der sich zusätzlich durch Detailfülle einer einzigen Deutbarkeit entzieht. So ist es auch hier am derart der Gegenwart verunsicherten Bildbetrachter selbst, seine eigenen Vorstellungen und Visionen zu jeder einzelnen, bestimmt unbestimmten Stadt zu entwickeln. 

Die Serie zeroville nimmt die Konzeption der alphaville – Serie auf, entwirft aber nicht zukünftige Entwicklungen, sondern -vor allem heutige- Vergangenheit. Die von Ruehle besuchten Welt-, Hauptstädte und Kulturstätten verschiedener Kontinente erfahren hierin eine Um- und Weitergestaltung zu von Kultur durchdrungenen, fast musealen Stadtlandschaften. Wieder werden die einzelnen Städte jenseits ihrer geographischen Lage, ihres Klimas, ihrer prägenden Kulturen und Religionen, ihrer von Auseinandersetzungen und Bündnissen gezeichneten Geschichte zusammen- und auf ihre gemeinsamen Fundamente zurückgeführt. Der visionäre Anteil findet sich hier eher in behutsamen Modifikationen wie etwa gartenbaulichen Veränderungen oder Beschilderungen. Daneben scheinen glückliche Prozesse stattgefunden zu haben; manche Bilder zeigen das heitere Wesen interkonfessioneller Sakralbauten. 

Indem Peter Ruehle seine Motive vom Dunst der Postkarten befreit und durch den Filter visionärer Malerei zieht, werden seine Arbeiten zu Prototypen, die im Liegestuhl darauf warten, gesehen und entdeckt zu werden. Spätestens dann und jenseits bekannter Sehgewohnheiten entfalten die Arbeiten ihre hochindividuelle Kraft und eröffnen eine schöne neue Welt.

 

 

Filter

by Emil Otto Nardorff

 

 

Peter Ruehle's landscapes stand out from the painting world at large. A clear descriptive language, and technical precision meet in a balance of reality, fiction, and abstraction. The clarity of each landscape is achieved through selective reduction. In his paintings, white skies and light gray meadows converge in a horizon of vivid colors. Ruehle virtuously presents his determined serial concept in a stringent, yet variable form of creating unique, enchanted landscapes using atmospherically condensed layers of color. 

What appears to the eye, strongly depends on the distance of the viewer to the painting. From a distance merely a strictly horizontal, but dynamic block in the lower part of the painting, within a light surrounding, but as the viewer approaches the painting, a tangible architecture emerges from the mix of colors. These colors vary strongly among Ruehle's paitings, emphasizing the very individual moods and speeds of the depicted city or landscape. While very abstract when viewed as a whole, the works set free a depth and acuity in place of a broad image. 

In addition to the visible dimension of the works, an additional one appears: a room opens for a synthesis of memories of own encounters with a landscape in the viewer's mind. City and countryside are unique projection screens, as their characteristics, sounds, surfaces and odors are so truly familiar to every viewer. Thus, they easily draw the viewer to immerse themselves in the landscape. As much as each painting uses abstraction, it is the viewer's individual connection that materializes in the painting – one's own journey begins. 

Given one landscape exists only once on this planet, there still are certain characteristics shared among places even far apart. Plains, rivers, and mountains, shapes, distances, colors, and proportions resemble other locations: it is not coincidence that the Southern Alps of New Zealand share the name of their European counterparts, the colors of Sicily could resemble those of the highlands of Iceland, the Scandinavian archipelagos are close in appearance to those of German North Sea coasts, and the East of Romania reminds of the heaths of northern Brandenburg. 

With his reduced Landscapes, Peter Ruehle visualised early on how a specific landscape is always perceived as relative. Painted in a more realistic manner at first, his sceneries tend to be more compressed towards a horizon in his later works, all without losing their specific aspects. In his search for form and nature of the outdoors, Ruehle transforms the significance of subtle tones for each visualised landscape by accentuating these tones to be the main carriers of atmosphere and individual recognizability. This concept was developed further in his series universal landscapes and international since 2005. Again, hues and their order are the starting points for a very individual perception. By the visual language used and by their richness in detail, the paintings from the series international clearly depict a countryside that in reality exists somewhere, thus resembling traditional landscape paintings. The reduced universal landscapes on the other hand, seem all the more abstract. Skies or identifiable details are lacking almost completely, so that the viewer can fill them in with his personal memory more intensely. That way, each landscape becomes universal and international. Perhaps that is why Ruehle seems to treat everything beyond the horizon seperately, creating series of skies only. Sky and clouds seem carried over into the infite, a fraction of which is only possible to capture in a frame. 

Eventually, the series alphaville and zeroville appear as the essence of the previous developments. This highly evolved concept is transferred over to motifs of cities, broaching the issue of urban life and its inherent large-scale socialization, its mechanisms and structures. 

The title alphaville intends to draw a connection to Jean-Luc Godard's 1965 movie of the same name. In this futuristic vision, the city Alphaville represents the total desensualization and equalization of a technocratic society. All decisions are made blindly and ignorantly striving towards some final goal, ignoring individual desires. The cinematic language of the film is unostentatious. Using short cuts, unconventional magnification and absence of daylight, Godard departs from the film location, Paris, to achieve an impression of a city state with a familiar, yet strange and eerie feel. Peter Ruehle adopts the technique of dissecting and reassembling in order to compose an urban image that eludes the viewer despite its recognizable aspects. Each depicted city may have buildings easy to identify, but upon closer examination, it does not become more familiar: well known sites, visual axes, distances are changed, other buildings and industrial complexes appear out of place. Watercourses, bridges, parks and green spaces enhance well known places. By adding architectural embellishments from other contexts, a synthetic, visionary location comes into existence, a location that, again, can be explored only in the imagination of the viewer. 

The series zeroville extends the concept of alphaville by adding a historic dimension. Capital cities and monuments Peter Ruehle visited, are transformed into urban landscapes entwined with cultural spirit. Again, the cities on canvas are reduced to their common functional basis, bereft of their geography, climate, culture, religion, hostilities, alliances. The visionary stake the painter holds here is less strong, Ruehle uses rather gentle modifications, such as horticultural manipulations, and small or large signage. Providential processes seem to have taken place, and some of the paintings illustrate the serene character of interconfessional religious buildings. 

By removing the slightest trace of picture postcard haze and adding a filter of visionary painting, his works become prototypes, ready to be comfortably explored. All traditional viewing habits aside, that is when they unfold their highly individual powers to open up a brave new world.

 

 

 


 

Die Rückkehr der Weltenlandschaft

Überlegungen zu den Landschaftsbildern von Peter Ruehle

von Friedrich W. Kasten

 

 

Sucht man im deutschsprachigen Internet nach den Stichworten "Landschaft - Malerei - Dresden" so erhält man die auf den ersten Blick erstaunliche Zahl von 27.000 Einträgen. Nun wissen alle erfahrenen Internetuser, dass solche Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind und man selten das findet, wonach man eigentlich sucht. Aber auch ohne die Materialfülle aus dem world wide web weiß der einigermaßen in der Kunst- und Kulturgeschichte beheimatete Zeitgenosse, dass Dresden und die Landschaftsmalerei eins sind. Ob in der Form des feudalistischen Repräsentationsbildes, im Gewand eines frühbürgerlichen Romantizismus oder als Ausdruck sozialistisch geprägter Bildinhalte. Aus kaum einer anderen mitteleuropäischen Kulturlandschaft hat ein klassisches Genre der Malerei durch die Zeit so entscheidende Impulse erhalten und weltberühmte und regional verhaftete Bilder hervorgebracht, wie gerade in Dresden. 

Es ist wohl die Geographie und Atmosphäre Dresdens, die gleichermaßen vom Fluss geprägt werden. Die Elbe mit ihren Auen und Hängen formt das ausgedehnte Tal, in dem sich Dresden befindet. Höhe und Weite, Ferne und Nähe liegen hier dicht beieinander. Steht man eben noch auf dem Neustädter Ufer vor der beeindruckenden Silhouette des barocken Stadtensembles, so genießt man nur unweit davon auf der Bergstation der Dresdner Seilschwebebahn vom Weißen Hirschen aus den Blick in eine Weltenlandschaft, wie er prägnanter nicht sein könnte. Man sieht auf eine in der flachen Aue gelegene Stadt am Fluss, mit ihren Brücken und feudalen und klerikalen Architekturen. Alles erscheint spielzeughaft klein, dem Prosaischen weit entrückt. Die Details werden förmlich vom Ganzen aufgesaugt. Was bleibt ist das Typische der Stadtlandschaft, eingebettet in eine sich öffnende, am Horizont unwirklich verbläuende weite Landschaft. Der Zeitlichkeit des menschlichen Treibens, steht die Zeitlosigkeit der Natur gegenüber. 

Auch wenn die Bilder von Peter Ruehle auf den ersten Blick nur wenig mit den tradierten wie typischen Formulierungsgepflogenheiten gemein haben, so sind die Landschafts- und Städtebilder des gebürtigen Dresdners ohne den kultur- und kunstgeschichtlichen Kontext kaum zu verstehen. Man meint, eigentlich müsste die Übermacht des historischen Befundes eine eher abschreckende Wirkung auf einen zeitgenössischen Künstler ausüben - aber vielleicht liegt gerade hierin der Reiz, tradierte Gestaltungswege neu zu erkunden, den Staub der Geschichte abzustreifen und dem Authentischen ein zeitgenössisches Gesicht zu geben. 

Die ersten Landschaftsbilder von Peter Ruehle sind noch eher von beschreibender Natur. Es sind Schilderungen von topographischen Gegebenheiten, Stimmungen und persönlichen Eindrücken. Bereits in den frühen Bildern findet man eine bemerkbare formale Reduzierung, die ihn vom Nacherzählen einer Landschaft, hin zu einer Verdichtung der Komposition auf das Typische, auf den Gehalt des Gesehenen führt. Die Erfahrung jener Arbeiten findet schließlich in den „Reduzierten Landschaften“ ein auch als neue Werkgruppe erkennbares malerisches Ergebnis. Der Umbruch ist offensichtlich: Die Landschaft wird zur Metapher. An die Stelle der deskriptiven Schilderung tritt eine klar strukturierte Komposition, die entfernt an die typisch flachen niederländischen Landschaften des 17. Jahrhunderts mit ihrer in drei klar getrennte Zonen von Vorder- Mittel- und Hintergrund mit stark abgesenktem Horizont erinnert. Für manchen mögen die Landschaftsbilder von Peter Ruehle auf den ersten Blick nur wie eine Addition von mehr oder minder starken farbigen waagerechten Streifen aussehen, die sich in einem schmalen Band tief am unteren Bildrand entlang ziehen und in der sonst hell gehaltenen Fläche das Auge des Betrachters auf sich ziehen. Es ist Landschaft, wie aus der Ferne betrachtet, unter tiefem Horizont in eine weite Ebene eingebettet, oft von der See aus oder über einen Fluss hinweg gesehen. Die atmosphärische Wirkung der gewählten Farben steigert die irrationale Ferne im Bild. Es ist eine Art von Höhenferne, die der Betrachter in Ansicht seiner Bilder erlebt und die erst ersehen sein will. Farbgebung und Kompositionen gehen dabei Hand in Hand. Durch raffinierte wie sparsame Farbgebung - erdige, dunklere Töne im Vordergrund, grüne und blaue Töne in Mittel- und Hintergrund - suggeriert Peter Ruehle große Raumtiefe und gestaltet mit der durch die Farbe gesteuerten Luftperspektive eine starke Sogwirkung über den gemalten Horizont hinaus. Hin und wieder erscheinen farbliche Verdichtungen, die bis zur Verfremdung führen. Die Wahrnehmungsgrenzen im Bild scheinen sich aufzulösen und führen zu neuen Erfahrungsgrenzen in der Betrachtung. Die geänderte Auffassung vom Landschaftsbild findet ihre formale Entsprechung in der Veränderung der Präsentation. Peter Ruehle erweitert das bis dahin für ihn gebräuchliche Mittelformat und malt nun auf extrem gestreckten bzw. gelängten Tafeln, die als Querformat panoramaartige Sichten ermöglichen, als Hochkantformat jedoch die Betrachtersicht auf die eines Ausblicks gleich durch einen schmalen Fensterschlitz reduzieren. 

2005 beginnt Peter Rühle mit seinen Städtebildern. Die „reduzierten Landschaften“ erweitern sich um das Thema der „Stadtlandschaft“. Aber auch hier wird daraus keine Vedutenmalerei im traditionellen Sinne, selbst wenn signifikante Schemen von Architekturen und herausragenden Gebäuden in den Bildern auszumachen sind. Die gemalten Stadtszenerien sind erkennbar, selbst wenn man hin und wieder einen zweiten genauen Blick bemühen muss, um die in pastosen Farbtönen gehaltenen Versatzstücke urbaner Silhouetten auszumachen. Angeregt wurde Peter Ruehle nach eigenem Bekunden durch Jean-Luc Godards Mitte der 60er Jahre gedrehten Science Fiction Film „Alphaville“, der der seit 2005 andauernden Werkgruppe den Namen gab. Auch Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung bleiben die von Godard inszenierten schwarz-weiß Bilder, in einer Welt ohne Fröhlichkeit und Glück, beherrscht von einem totalitären System, in dem Individualität nichts bedeutet, von eindrücklicher Wirkung. Doch weniger die triste Perspektive der menschlichen Gesellschaft als vielmehr der dramaturgische Filmschnitt selbst, der Realität und Fiktion für den Kinobesucher eins werden lässt, das ungewohnte stilistische Mittel im bildnerischen Verschneiden von Positiv- und Negativbildern, dürften hier Anregung gewesen sein. Insofern ist man gewarnt bei der Betrachtung der „Alphaville-Bilder“ von Peter Ruehle: Was ist topographische Wahrheit und was ist malerische Fiktion. 

Wer im Sinne eines Postkartendenkens eine schöne Schilderung erwartet, wird sich getäuscht sehen. Wer aber die Städtebilder von Peter Ruehle als Ausdruck unserer Zeit begreift, von der man den Eindruck hat, das Tatsächliches und Virtuelles bereits Gegensätze ohne Widerspruch sind, der wird sich in seinen Bildern ein Stück weit wieder finden. Peter Ruehle betreibt mit malerischen Mitteln eine formale wie inhaltliche Entgrenzung von Landschafts- und Stadtlandschaftsbildern. Vielleicht liegt hier die größere Nähe zu den berühmten Dresdner Namen vergangener Tage – nicht ein vorgeblicher Romantizismus verbindet ihn, wie gerne kolportiert, mit dem Maler vom Mönch am Meer, sondern eher der Mut neue Bilder für damals wie heute eines scheinbar festgeschriebene Genres zu finden.

 

 

The Comeback of the Universal Landscape

Reflections on Peter Ruehle's landscape paintings

by Friedrich W. Kasten

 

 

When searching the German-speaking internet for the search terms “Landscape + Painting + Dresden”, an astounding number of 27,000 results is returned. Of course, the avid internet user is aware of the fact that such numbers of results are to be taken with a pinch of salt, as it is hard to find exactly what one was searching for. However, even without gathering information from the world wide web, it is commonly known that the German city of Dresden has been connected closely with landscape painting for ages, be it feudalistic representational portraits, early bourgeois romanticism, or socialistic realism. There is no other cultural expression in central Europe that influenced this classic genre in fine arts as strongly over time as Dresden did, being the birthplace of many a world-famous painting. 

It is because of the setting and atmosphere of Dresden, with the Elbe river, its hillsides and floodplains set in a dramatic valley, with heights and breadth, proximity and distances so close together. Standing on the Western banks of the river, a breathtaking silhouette of baroque monuments catches the eye, yet close-by, at the upper station of the Dresden ropeway, a striking scenery surrounds the visitor, as a city with bridges and historic architecture rises from the watersides. Everything seems tiny, all details dissolve into the ensemble. What remains is a cityscape embedded in a landscape converging in blue tones towards the sky. All hustle and bustle fades away, leaving solely nature's timelessness. 

Even if works of Dresden-born Peter Ruehle seem to lack the traditional visual language, his landscape paintings must still be examined with the cultural and historic context in mind. It would seem natural if an artist was overwhelmed by the superiority of the artistic magnitude present, however, it may be even more challenging to discover new ways of treating these history-laden subjects with a new, contemporary and authentic spirit. 

Ruehle's first landscape paintings were merely descriptive, yet in the descriptions of topographic features, moods, or personal impressions, he soon moved towards a formal reduction, a composition of the characteristic aspects, and their intrinsic peculiarities. His experiences with these early works clearly consolidate in the series reduced landscapes. The visible change is this: each vista becomes a metaphor. A well-structured composition supersedes the description, reminding of the strict separation of foreground, center, and background with a dramatically lowered horizon line typical of Dutch 17th century landscape paintings. 

To some, Ruehle's landscape paintings appear as nothing more than horizontal lines of color, pulling focus away from the surrounding void. It is landscape, embedded in an outstretched plain, as if looked upon from a distance across a lake, or river. The atmospheric impression of the chosen colors increases the irrational depth of the image. Everything the viewer experiences when immersing himself into the painting seems afar. Both tonality and composition contribute to that effect. As Ruehle sparingly applies refined color such as dark, earthy tones in the foreground, greens and blues in the center and background, he suggests a large depth of field. The elevated perspective causes a tremendous pull across the entire painted horizon, and in a few areas, clusters of color lead to a feel of distortion. The boundaries of perception in the paintings seem to vanish, eventually leading beyond new boundaries of experience. Ruehle carries his changed interpretation of how to paint a scenery to its logical conclusion by also changing the form of presentation. He extends his formerly preferred medium format by now using extremely wide panels, about 3:1 in proportion. With landscape formats, a spectacular panoramic effect is achieved, while when looking at the portrait formats, the viewer is reminded of looking through a crack in a door. 

It was 2005 when Peter Ruehle first dedicated himself to this topic, commencing with cities, leading up to his reduced landscapes. Again, Ruehle does not fall for the traditional Veduta style, even if significant buildings noticably stand out. The city sceneries are recognizable, even if it may take a second glance to spot the impasto fragments of urban silhouettes. According to his own proclamation, Ruehle was inspired the movie 'Alphaville' by Jean-Luc Godard from the mid-1960ies, which Ruehle's series is also named after. Even some 40 years after their first appearance, Godard's black-and- white imagery, depicting a world without happiness, dominated by a totalitarian system in which individuality is irrelevant, still has its striking effect. However, it is foremost the film's editing Ruehle modeled his works after: the clash of positive and negative images, reality and fiction overlapping. What is topographic truth, what is a painter's fiction? 

Anyone expecting a picture-postcard scenery will be disappointed. If a viewer does follow Ruehle's works as an expression of our time, in which the real and the unreal are opposites without contradiction, he will certainly enjoy each of the paintings. Ruehle frees city and landscape painting of its borders in form and content. Perhaps that is what makes his work close in nature to the famous Dresden painters of former times. However, rather than the alleged romanticism, it is courage to find new expressions within a seemingly stipulated genre which is what is characteristic of Ruehle's work.

 

 

 

 

 


 

Neue Helden braucht die Malerei

von Andrea Rook

Dresdner Neueste Nachrichten, 12. Juni 2003

 

 

Die Galerie ORAN zeigt benutzbare und innerliche Landschaftsbilder. […] In den zwei Räumen der Galerie selbst stellt [...] Peter Ruehle aus. Die Reisebilder des 28-Jährigen sind wohl das Erstaunlichste, das hier gezeigt wird. In „Reduzierte Landschaft in Siam“ gibt es viel Himmel oben und viel Wasser unten, in der Mitte leuchtet ein winziger, hellgelber Sandstreifen in der grünen Uferbewachsung. Dagegen besitzt die „Reduzierte Landschaft in Nordisland“ alle Schattierungen des Schnees, abgesetzt noch einmal durch die Struktur, die der Spachtel in der Ölfarbe hinterließ. Ruehles Prinzip ist schnell erkannt: Er typisiert die Erhebungen und stilisiert die Farben, schiebt alles an der gedachten Linie des Horizonts zusammen und hat den Inbegriff von Landschaft gefunden.

 

John Berger, der 1926 in London geboren wurde und ein Kunstkritiker voller Inspirationen war, schrieb einmal, dass wir vor vollendeten Gemälden innehalten wie „vor einem Tier, das uns betrachtet“. Dass wir das „Gesicht einer Sache“ nur dann erkennen, wenn uns „diese anschaut“. Die Reisebilder von Peter Ruehle schauen dem Betrachter sehr direkt ins Auge; und das ist vielleicht noch wichtiger als die solide Öl-auf-Holz-Malerei und die anspruchsvolle Ästhetik. Denn es sind Bilder mit Sehnsüchten, Zweifeln, Hoffnungen; sehr innerlich, so wie man beim Baden in der Badewanne den eigenen Atem hört, wenn man die Ohren dabei unter Wasser hält. Mit Esoterik jedenfalls hat [das] nichts zu tun, erklärt Ruehle. […]

 

Peter Ruehle hat Rechtswissenschaften und Philosophie und anderes an verschiedenen Universitäten studiert und bis heute nicht vor, eine Kunstakademie zu besuchen. […]. „Offen“ - so der gut gewählte Name der Ausstellung auf der Kamenzer Straße 29. [...]

 

 

 

 

Painting needs new Heroes

by Andrea Rook

Dresdner Neueste Nachrichten, June 12, 2003

 

 

The gallery ORAN shows usable and inner landscapes. [...] In the two rooms of the gallery itself [...] Peter Ruehle exhibits. The travel paintings of the 28-year-old are probably the most astonishing that is shown here. In "Reduced Landscape in Siam" there is much sky above and much water below, in the middle a tiny, light yellow strip of sand shines in the green bank vegetation. In contrast, the "Reduced Landscape in Northern Iceland" has all the shades of snow, set off once again by the structure left behind by the brush in the oil paint. Ruehle's principle is quickly recognized: He typifies the elevations and stylises the colours, pushes everything together along the imaginary line of the horizon and has found the epitome of landscape.

John Berger, who was born in London in 1926 and was an art critic full of inspiration, once wrote that we stop in front of sublime paintings like "in front of an animal that looks at us". That we only recognize the "face of a thing" when it "looks at us“. Peter Ruehle's travel pictures look very directly into the viewer's eye; and this is perhaps even more important than the solid oil on wood painting and the sophisticated aesthetics. For they are paintings with longings, doubts, hopes; very inner, just as one hears one's own breath when bathing in the bathtub, when one keeps one's ears under water. At any rate, [that] has nothing to do with esotericism, explains Ruehle. […]

Peter Ruehle studied law and philosophy and other subjects at various universities and still does not intend to attend an art academy. […]. "Open" - that is the well-chosen name of the exhibition on Kamenzer Straße 29. [...]


 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wesentliche Gegenwart

Torsten König

 

 

„Landschaften“ sind, nach landläufigem Verständnis, Ausschnitte aus Naturräumen, die der Betrachter als ästhetische Ordnung wahrnimmt. Nichts in ihnen weist über ihre sprachlose, sinnlich erfahrbare Gegenwart hinaus, kein Zweck der Dinge, keine Zeichenhaftigkeit der Phänomene. Der Begriff impliziert des Weiteren eine Idee von panoramatischer Weite des Ausschnitts, welcher seine Grenzen in der manifesten, mannigfaltigen Materialität der ihn ausfüllenden Gegenstände, einer Hügelkette, einer Baumgruppe, einem Fels findet. Teil der Landschaft ist neben dem Land auch der dieses behausende Himmel.

Soweit, so gut.

 

Der bei weitem größte Teil von Peter Ruehles malerischem Werk besteht aus Bildern, die im Titel das Wort „Landschaft“ führen, welchem in den meisten Fällen wiederum das Attribut „reduziert“ beigegeben ist. Reduktion heißt Verringerung, Zurückführung. Vom Komplizierten zum Einfachen. Wir implizieren: auf das Wesentliche.

 

Wie sehen diese Landschaften aus? Sie sind zunächst reduziert auf das Nötigste, um sie noch als Landschaft erkennbar werden zu lassen: zwei in Farbe und Struktur verschiedene Flächen, Himmel und Erde, welche in einem Horizont aneinander stoßen, der oft so verwegen tief liegt, dass die Erde, das eigentlich Landschaftliche, zu einem schmalen dunklen Streifen, manchmal nur zu einer Linie am unteren Bildrand zusammenschmilzt. Für den Betrachter verschwindet in dieser extremen Perspektive vom erhaben erhöhten Standpunkt aus alle Differenzierung der Phänomene, die nur in einem hier nicht mehr vorhandenen Bildmittel oder -vordergrund Platz gehabt hätte. Topographie und Tektonik verlieren weitestgehend ihre Spezifik, werden zu farblich und strukturell scharf voneinander abgegrenzten Streifen, deren Potenzial, Abbild eines Naturraumes zu sein, sich erst aus der Distanz vom Bild im Auge entfaltet.

 

Das Andere zum Land in der Landschaft ist der Himmel. Er nimmt in Peter Ruehles Bildern die größte Fläche ein, steigt im imaginierten Raum als seine ätherische Grenze hoch auf über der festgefügten Horizontlinie. Damit werden die in den Bildtiteln ausgewiesenen „Landschaften“ in Australien und Ísland, bei Binz, am Lake Pukaki oder bei Alcúdia vor allem zu Variationen eines Himmels, unter dessen flächenmäßiger Dominanz und Großzügigkeit die Kleinteiligkeit der Erde zu einer vernachlässigbaren Größe wird: Himmel mit Wolken über der Ostsee und ohne Wolken über dem Mittelmeer, Himmel am Mekong und in Neuseeland, blau im August und grau im November, mit naturalistischen Schichtwolken und Wolken, die man in pop-artistischen Comicstrips findet.

 

Nur teilweise handelt es sich hier also um naturalistische oder naturalisierende Darstellungen. Wenn die Landschaft gegenüber dem Himmel reduziert ist, so können die Phänomene des Himmels ihrerseits reduziert werden auf das Wesentliche ihrer Farben und Formen. Die Verringerung differenzierender Merkmale kann dabei soweit gehen, dass in einer nahezu vollständigen Abstraktion von der Wirklichkeit der Himmel zu einer homogenen weißen Farbfläche wird, zu der ein dunklerer Streifen am unteren Bildrand kontrastiert. Diese Fläche besticht eher durch den Pinselduktus – worin die Materialität des Bildes hervortritt – denn durch etwaigen Naturalismus. Vereinfachung der komplex-heterogenen Wirklichkeit in Form und Farbe, um dadurch deren Wesen offen zulegen, wird somit zu einem zentralen Aspekt in der Kunst Peter Ruehles. Reduktion auf das Wesentliche. Was ist wesentlich? Er selbst bemerkt hierzu: „Details werden nicht eliminiert, sondern integriert und verschwimmen mit anderen Kleinigkeiten zu einer Klarheit, die wesentlich ist.“ Wesentlich ist die Klarheit einer einfachen Form, in der sich die Epiphanie des ungeteilten Ganzen realisiert.

 

Damit oszillieren die Bilder je nach Standpunkt des Betrachters zwischen Mimesis an die Natur und einer von dieser absehenden Komposition der Formen und Farben. Egal jedoch ob sie als Abbildung oder als Gegenstand wahrgenommen werden, immer nehmen sie den Betrachter in die Fülle ihrer unberedten Präsenz auf. Im Einen des Blickes wird die phänomenale Vielfalt des Draußen aufgehoben, reduziert auf Einfaches, das Eigentlichkeit entbirgt.

 

Der Blick, er wird in den breitformatigen Bildern hin zur Horizontlinie in die Tiefe des so eröffneten Raumes gerissen, in ihn hineingesogen; bei den Hochformaten gleitet er an der Innenseite des hochaufragenden Himmels hinter besagte dunkle Linie am unteren Bildende hinab.

 

Es ist ja nicht so, dass Himmel und Horizont frei von Symbolhaftigkeit wären. In einer langen Tradition stehen sie für Grenzen, die auf Entgrenzung verweisen durch ihre Überschreitbarkeit hin ins jenseits der Himmel vermutete Unendliche. Dass einem dabei Verstand und Lider verloren gehen, ist bekannt. Die Landschaften von Peter Ruehle aber verweisen auf nichts, erzählen nichts. Die Dinge, ein Stück Himmel, ein Stück Erde, die Linie, in der sie sich berühren, sind das, was sie sind – die sinnliche Gegenwärtigkeit des Blauen, des Braunen, des Wolkigen, des Festen, Erdigen. Vor aller Sprache. Sie bedeuten nicht Überschreitung, sondern sie sind materialisiertes Angebot zu dieser. Lässt man sich in der Betrachtung von einer mimetischen Leseweise wegtragen, werden diese Farbflächen und Linien zu Landschaftsräumen, die durch ihre Weite und ihre Stille entrücken. Noch einfacher wird das Einfache durch die Stille. Der Blick taucht in diesen stillen Raum und seine Leichtigkeit, wo das Glück der Freiheit uneingeschränkten Sehens – erdverhaftet nur durch den schmalen dunklen Streifen am unteren Bildrand – sich angesichts der Offenheit schnell zur Melancholie verdichtet. Ein Kontemplationsraum ist das, der eben nicht Naturraum ist, nicht blinde Beliebigkeit sondern gewollte Ordnung von Farbe und Form, welche, wie gesagt, so weit gehen kann, dass sie nur Farbe und Form, kein Bild mehr ist.

 

In diesen Landschaften finden sich keine Menschen und keine dümpelnden Boote. Wenn Peter Ruehle Menschen malt, tritt die Landschaft altmeisterlich in den Hintergrund, ist aber fast immer präsent. Wie die Landschaften in ihrer Mannigfaltigkeit entdifferenziert werden, tritt uns in den Momentaufnahmen dieser Figuren eine Reduktion auf Wesentliches in Form und Farbe entgegen. Sparsam in der Chromatik bekommen sie ihr starkes Relief durch hart aneinander stoßende Farbflächen. Die Gruppen von jeweils zwei, höchstens drei Personen erhalten ihr Punctum, „jenen Zufall, der uns besticht“, durch ihr momentanes Ergriffenwerden, das Fixieren der Bewegung und der sich im Augenblick der Erstarrung ausbreitenden Stille um sie herum. Wir sind nicht betroffen von den Geschichten, die sie womöglich erzählen, sondern von der sprachlosen Dinghaftigkeit ihrer opaken Oberflächen. Hierin gleichen die Figurenbilder den menschenleeren Landschaften des Künstlers.

 

So verweilt man vor diesen Landschaften und Figuren erleichtert, für einen Moment, und beglückt von so viel Gegenwart, angesichts der allumgebenden Abwesenheit.

 

 

 

 

Essential Presence

Torsten König


"Landscapes" are, according to common understanding, sections of natural spaces that the viewer perceives as an aesthetic order. Nothing in them points beyond their speechless, sensually experienceable presence, no purpose of things, no sign-like quality of phenomena. The term further implies an idea of panoramic expanse of the section, which finds its limits in the manifest, manifold materiality of the objects filling it, a chain of hills, a group of trees, a rock. Part of the landscape is not only the land, but also the sky that inhabits it.
So far, so good.

By far the largest part of Peter Ruehle's painterly work consists of pictures that have the word "landscape" in the title, to which in most cases the attribute "reduced" is added. Reduction means reduction, reduction. From the complicated to the simple. We imply: to the essential.

What do these landscapes look like? First of all, they are reduced to the bare essentials so that they can still be recognized as landscapes: two surfaces that differ in color and structure, sky and earth, which abut against each other in a horizon that is often so boldly low that the earth, the actual landscape, melts into a narrow dark strip, sometimes just a line at the lower edge of the picture. For the viewer, all differentiation of phenomena disappears in this extreme perspective from the loftily elevated vantage point, which would only have had room in a pictorial medium or foreground that no longer exists here. Topography and tectonics largely lose their specificity, becoming sharply delineated stripes in terms of color and structure, whose potential to be an image of a natural space only unfolds in the eye from a distance from the picture.

The other to the land in the landscape is the sky. It occupies the largest surface in Peter Ruehle's paintings, rising in the imagined space as its ethereal boundary high above the firmly established horizon line. Thus the "landscapes" in Australia and Ísland, near Binz, at Lake Pukaki, or near Alcúdia, identified in the picture titles, become above all variations of a sky under whose surface dominance and generosity the smallness of the earth becomes a negligible quantity: Skies with clouds over the Baltic Sea and without clouds over the Mediterranean, skies on the Mekong and in New Zealand, blue in August and gray in November, with naturalistic layered clouds and clouds found in pop-artistic comic strips.

Only in part, then, are these depictions naturalistic or naturalizing. If the landscape is reduced in relation to the sky, the phenomena of the sky can in turn be reduced to the essentials of their colors and forms. The reduction of differentiating features can go so far that in an almost complete abstraction from reality, the sky becomes a homogeneous white color surface, contrasted by a darker stripe at the lower edge of the picture. This surface captivates more through the brushstroke - in which the materiality of the picture emerges - than through any naturalism. Simplification of the complex-heterogeneous reality in form and color, in order to reveal its essence, thus becomes a central aspect in Peter Ruehle's art. Reduction to the essential. What is essential? He himself remarks: "Details are not eliminated, but integrated and blurred with other trifles into a clarity that is essential." Essential is the clarity of a simple form in which the epiphany of the undivided whole is realized.

Thus, depending on the viewer's point of view, the paintings oscillate between mimesis to nature and a composition of forms and colors that detaches from it. Regardless, however, of whether they are perceived as an image or as an object, they always absorb the viewer into the fullness of their unspoken presence. In the one of the look, the phenomenal variety of the outside is suspended, reduced to simplicity, which unveils actuality.
In the wide-format pictures, the gaze is drawn towards the horizon line into the depths of the space thus opened up, sucked into it; in the vertical formats, it slides down the inside of the towering sky behind the said dark line at the lower end of the picture.

 

It is not that the sky and the horizon are free of symbolism. In a long tradition, they stand for borders that refer to the dissolution of boundaries through their transmissibility into the infinite that is assumed to be beyond the heavens. It is well known that one loses one's mind and eyelids in the process. The landscapes of Peter Ruehle, however, refer to nothing, tell nothing. The things, a piece of sky, a piece of earth, the line in which they touch, are what they are - the sensual presence of the blue, the brown, the cloudy, the solid, the earthy. Before all language. They do not mean transgression, but they are materialized offer to it. If one lets oneself be carried away from a mimetic way of reading in the contemplation, these color surfaces and lines become landscape spaces, which enrapture by their width and their silence. The simple becomes even simpler through the silence. The gaze is immersed in this silent space and its lightness, where the happiness of the freedom of unrestricted vision - earthbound only by the narrow dark strip at the lower edge of the picture - quickly condenses into melancholy in the face of openness. This is a space for contemplation, which is not a natural space, not a blind arbitrariness but a deliberate order of color and form, which, as I said, can go so far that it is only color and form, no longer a picture.

In these landscapes there are no people and no bobbing boats. When Peter Ruehle paints people, the landscape recedes into the background like an old master, but is almost always present. Just as the landscapes are de-differentiated in their diversity, in the snapshots of these figures we are confronted with a reduction to the essential in form and color. Sparing in the chromaticism, they get their strong relief through hard abutting color surfaces. The groups of two, at most three persons each, get their punctum, "that coincidence which captivates us", through their momentary being seized, the fixing of the movement and the silence spreading around them in the moment of solidification. We are not affected by the stories they might tell, but by the speechless thingness of their opaque surfaces. In this, the figure paintings resemble the artist's deserted landscapes.

Thus, one lingers in front of these landscapes and figures relieved, for a moment, and delighted by so much presence, in the face of all-encompassing absence.